Diese „Krawallautisten“

„Das sind doch diese Krawallautisten“, sagt der ein oder andere Facharzt oder Therapeut, der die Folgen des autistischen Aktivismus an den eigenen Projekten zu spüren bekam. An Eltern und Kolleg*innen gibt er den wohlmeinend klingenden Rat weiter, sich von „denen“ fernzuhalten. Manch einer nennt uns noch etwas phantasievoller „Internetautisten“, was ich sehr lustig finde. Begreift man das Internet als Möglichkeit der Barrierefreiheit, ist das in etwa so, als nenne man Gehbehinderte „Rollstuhlmenschen“ – also ziemlich albern.

Solch eine diskreditierende Bezeichnung ist zudem nicht mehr als ein manipulativer Versuch, Kritik zu invalidieren. Kritik an Therapien und Lernmethoden zum Beispiel, deren Wirksamkeit und Ethik umstritten ist, die jedoch sehr viel Geld einbringen. Man lenkt den Diskurs von Argumenten- und Fakten-Fokussierung auf die Ad Hominem-Perspektive, in der Hoffnung, die Genannten können aufgrund ihrer Kommunikationseinschränkung der polemischen Strategie nicht folgen und beenden die Debatte. Und in Teilen geht dieses Vorgehen auch auf.

„Krawallautisten“, das ist doch ein sehr unangenehmes Wort, das klingt nach Lärm und Ärger. Genau diese Assoziationen scheinen mir beabsichtigt. Der autistische, selbstvertretende Aktivismus steckt noch immer in den Kinderschuhen und wuchs erst in den letzten Jahren mehr oder weniger zögerlich heran. Er probiert sich noch aus, versucht, eine gemeinsame Stimme zu finden, eine Richtung, ein Tempo. Manchmal ist er zu leise, ein andermal ist er laut genug und wird gehört. Er zehrt uns aus, kostet viel Kraft und äußert sich in der Regel sachlich und faktenbasiert. Dass es auch mal emotional werden kann? Geschenkt. Überraschung: Autisten sind auch nur Menschen. Aber unterm Strich versuchen wir selbstvertretenden Autist*innen die Fakten sprechen zu lassen. Wir stecken viel Zeit in die Recherche neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, führen Gespräche mit Experten, besuchen Tagungen und suchen den Kontakt zu Eltern und anderen Autist*innen.

Was uns zum wichtigsten Argument bringt, weshalb der Begriff “Krawallautisten” uns Unrecht tut und an der Realität vorbei zielt: Das Wissen, über das viele Autist*innen verfügen, macht sie zu Gesprächspartner*innen auf Augenhöhe. Auf Augenhöhe zu diskutieren ist für manche Fachärzte noch immer – im günstigsten Fall – ungewohnt und fremd, schlimmstenfalls nicht gewollt.

Zum Verdruss vieler machen wir weiter. Es liegt in der Natur des Aktivismus, zuweilen unangenehm zu sein. Indem man lieb fragt, hat sich für benachteiligte Menschen noch nie etwas zum Guten gewendet. Und da kommt ein Faktor ins Spiel, den viele nur zu gern ausnutzen: 
Für Autist*innen, die ihr Leben lang mit dem Falschsein und mit Ausgrenzung konfrontiert waren, ist es oftmals schlimm, unangenehm aufzufallen. Sie nehmen sich also lieber zurück, schweigen, erdulden Übergriffigkeiten und Fremdbestimmung.

Eltern schrecken ebenso zurück, keinesfalls soll ihr Kind einmal so ein „Krawallautist“ werden. Aber ist das nicht traurig? Es ist doch ein himmelweiter Unterschied, ob man einem Kind hilft, sich möglichst selbstbestimmt und die eigene Persönlichkeit entfaltend in die Gesellschaft zu integrieren oder es zu einem stillen, angepassten, unterwürfigen Teilhaber erzieht. Wünscht man sich nicht Ersteres fürs Kind, egal ob mit Behinderung oder nicht, ob mit Hilfe oder ganz alleine? Soll es nicht eine eigene Meinung darüber haben, wie es sein Leben gestalten will, welche Art Unterstützung es möchte, ob und wie man es therapiert? Oder soll es nur möglichst brav und angepasst werden, nur nicht unangenehm auffallen?

Ist es nicht im Sinne der Fachärzte, autistischen Menschen die bestmöglichste Unterstützung zukommen zu lassen? Mit ihnen den Weg hinaus aus Komorbiditäten wie Depressionen und Angst zu gehen und sie mit Mut und Zuversicht auszustatten? Das Leben mit Autismus ist schwer, wir sollten wirklich gut dafür gerüstet sein.

Darum, ja, liebe Autist*innen, seid laut, seid unbequem und macht bitte auch so richtig schön Lärm, wenn es nötig ist. Setzt euch für alles ein, was euch betrifft und habt keine Angst: Klare Worte sind kein Krawall. Niemand sollte wegen Behinderungen schlechter behandelt werden oder etwas erdulden, was der Menschenwürde widerspricht. Ihr bestimmt, was mit eurem Leben geschieht, welche Hilfen ihr möchtet und welche Unterstützung vonnöten ist. Ihr habt jedes Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu leben.

Ginge es nach mir, ich würde jedem nach Selbstbestimmung strebenden autistischen Menschen beglückwünschen und einen Button anstecken, auf dem steht: „Krawallautist und stolz drauf“.

11 Gedanken zu „Diese „Krawallautisten“

  1. Leider wünschen sich die meisten Eltern stille, angepasste, unterwürfige Kinder.
    Ja nicht auffallen. Ja keine Individualität. Ja nicht anders sein. Immer schön der Schablone hinterher.
    Und da ist behindert oder nicht völlig unerheblich, denn „WAS KÖNNTEN DENN DIE NACHBARN SAGEN!“ (Die die Eltern selbst aber auch hassen.)
    Eltern sind halt oft auch nur Produkt einer reaktionären Erziehung die sie dann weitergeben weil sie es nie besser gelernt haben.

    1. Ich weiß nicht, wie viele Eltern so denken und wie viele nicht, muss ich ehrlich sagen. Ich würde mir einfach sehr wünschen, das der Fokus – unabhängig von der Auffälligkeit des Kindes und dem Unterstützungsbedarf – auf Selbstbestimmung liegt.

  2. Ganz klasse!!!
    Geht in die Welt, schreit es heraus! (Oder schreibt-egal wie! Lasst euch nichts gefallen! )
    Fight for your rights!!!

    Ich hoffe, mein Sohn wird auch einmal ein Krawallautist! Bis jetzt bin ich noch die unbequeme Krawallmutter, die mit dem Regierungsbezirk Unterfranken und der Krankenkasse/Pflegekasse auf Kriegsfuß steht. 🙂

  3. „Kinder muss man nicht erziehen, die machen einem sowieso alles nach“…so oder ähnlich lautet ein Spruch, der viel Wahrheit beinhaltet. Sich für seine Rechte einsetzen, nicht immer ja und Amen sagen, sich bloß nicht anpassen…wenn das viele Menschen machen würden, sähe unsere Gesellschaft generell anders aus. Wer selbst Angst hat, kann seine Kindern lehren, sich zu wehren.
    Ich bin seit meiner Jugend gesellschaftlich/politisch aktiv, seit Geburt meiner Tochter auch in Sachen Neurodiversität- wir sind beide betroffen, wenn auch ganz unterschiedlich. Sie wird immer selbstbewusster und weiß im Prinzip, wie „sich wehren“ geht. Wir Eltern können nur vorleben und unterstützen wenn es denn gewünscht ist. Und vor allem: nicht im Weg stehen, selbst wenn mal Entscheidungen getroffen werden, die wir nicht so „weise “ finden.
    Ich hatte übrigens keine aktiven Eltern, aber als ich jung war, war „Krawall“ generell nicht so verpönt wie heute.

  4. Heute findet in der Klasse, die unser Sohn (gerade 13) seit Kurzem besucht, eine „Aufklärungsstunde“ über Autismus durch eine externe Fachkraft statt. Unserem Sohn wurde freigestellt, ob er dabei sein möchte oder nicht. Seine Antwort war: „Wer weiß was diese „Fachkraft“ über Autismus erzählt, vielleicht hat das gar nichts mit mir zu tun. Der ist doch kein Autist. Es ist besser, wenn ich dabei bin und Fragen selbst beantworte oder sagen kann, wenn etwas so nicht stimmt.“
    Ich bin mächtig stolz auf ihn. Gerade auch, weil ich weiß, wie viel Kraft ihn das kostet.

  5. Was du beschreibst, finde ich super.
    Mir kommen dabei seit längerem immer wieder Menschen in die Quere, die sich ohne faktische Begründung auf Grundlage der Aussage „Wenn ich Autist bin, kann ich mich benehmen, wie ich will“ (was für ein Blödsinn!) zum Autisten „erklären“ und dann so richtig unangenehm „Krawall machen“. Gegen diese „anzustinken“ finde ich in meinem Umfeld gerade das anstrengendste.

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