Mein Blog war bisher ein Platz, auf dem meine Gedanken zum Thema Autismus Platz fanden. Das war in den fünf Jahren, in denen ich schon blogge, gut und wichtig – inzwischen fühlt es sich aber nicht mehr ausreichend an. Darum beginne ich eine kleine Serie:
In Facetten des Spektrums möchte ich euch spannende Menschen vorstellen. Das können Autist*innen sein, Eltern autistischer Kinder, Fachpersonal, Künstler*innen oder Personen, die auf eine andere Art mit dem Thema Autismus in Berührung sind.
Den Anfang machen Silke und Niklas Bauerfeind. Silkes Blog, auf dem sie nicht nur über ihren autistischen Sohn Niklas schreibt, lese ich schon sehr lange, doch erst seit ich sie im letzten Herbst in Rosenheim persönlich kennen lernen durfte, tauschen wir uns regelmäßig aus. Der Austausch ist mir sehr wertvoll geworden, darum freue ich mich umso mehr, sie hier begrüßen zu dürfen.
Hallo liebe Silke,
wie schön, dass du dir Zeit genommen hast. Im deutschsprachigen Raum bist du eine wichtige Referenz in Sachen Autismus. Warum hast du begonnen, über dein Leben als Mutter eines autistischen Sohns zu schreiben?
Als ich anfing, öffentlich über das Leben mit Niklas zu schreiben, war er 12 Jahre alt. Wir hatten schon viel erlebt und schwierige Zeiten gemeinsam überstanden, aber auch so viel Freude aneinander und Wundervolles entdeckt. Ich war auf der Suche nach Familien, die in einer ähnlichen Situation sind, um mich intensiver über das Thema Autismus auszutauschen. Ich suchte Eltern, die auch autistische Kinder mit einem sehr hohen Pflege- und Betreuungsbedarf haben wie mein Sohn. Er muss rund um die Uhr beaufsichtigt werden, weil er sich oft selbst gefährdet und eine ausgeprägte Weglauftendenz hat. Außerdem braucht er bei allen alltäglichen Abläufen wie Essen, Trinken, Hygiene, An- und Auskleiden usw. Unterstützung. Ich fand im Netz viel zum Thema Autismus, aber kaum Seiten, die unser Leben auch nur annähernd widerspiegelten.
Da beschloss ich kurzerhand, selbst einen solchen Blog ins Leben zu rufen, um mich auszutauschen, anderen Eltern, die vielleicht auf der Suche nach Erfahrungswerten wie den unseren sind, zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, und vor allem aufzuklären. Solidarität, Erfahrungsaustausch und Aufklärung sind meine wichtigsten Anliegen.
Mit der Zeit wurde der Blog bekannter und entwickelte sich zu einer Art Online-Magazin rund um das Thema Autismus. Inzwischen (nach vier Jahren) schreibe ich nicht mehr nur über unser eigenes Leben, sondern versuche, möglichst vielen Aspekten des Autismus-Spektrums Raum zu geben. Das geschieht z.B. über Interviews mit anderen Familien oder auch Fachleuten, über Gastbeiträge und auch sachliche Informationen, die ich recherchiere. Darüber hinaus gibt es seit Anfang des Jahres auch eine regelmäßige Kolumne, die eine Autistin für „Ellas Blog“ schreibt.
Niklas ist nonverbal, das heißt, er benutzt keine gesprochene Sprache, um sich mitzuteilen. Wie kommuniziert ihr denn miteinander?
Wir kommunizieren per Gebärdensprache. Diesen Weg der Kommunikation hat Niklas selbst gewählt. Im Kindergarten fing er plötzlich damit an, sich Zeichen auszudenken. Als es immer mehr wurden, beschlossen wir, das in allgemeingültige Bahnen zu lenken, damit er nicht eine Geheimsprache entwickelt, die dann nur einige Auserwählte beherrschen.
Ich lernte die Deutsche Gebärdensprache an der vhs und gab an Niklas, die Familie, Erzieher und Pädagogen weiter, was für unseren Alltag wichtig ist. Inzwischen hat Niklas eine Schulbegleitung mit Gebärdensprachkompetenz und so wächst der Wortschatz stetig. Ich denke, dass die Gebärdensprache viel mehr nonverbalen autistischen Kindern angeboten werden sollte. Allerdings sollte man viel Geduld mitbringen, das Erlernen von Gebärden nicht an Bedingungen knüpfen und das Thema Blickkontakt außen vor lassen. Unsere Kinder sehen sehr viel mehr als wir glauben – Niklas lernt manchmal neue Gebärden, ohne dass ich das Gefühl habe, dass er sie überhaupt bei mir gesehen hat – hat er aber – wie auch immer 🙂
Natürlich kommen wir bei unserer Kommunikation trotzdem an Grenzen und nicht nur deshalb ist es mir besonders wichtig, dass AutistInnen, die sich gut ausdrücken und erklären können, was ihr Leben mit Autismus ausmacht, sich mit Gastbeiträgen auf meinem Blog einbringen können.
Das heißt, du lernst viel im Austausch mit anderen Autist*innen?
Jede Perspektive hilft, das eigene Kind besser zu verstehen – das erlebe ich immer wieder. Natürlich kann man nicht alles eins zu eins auf das eigene Kind übertragen, aber ich habe schon oft Gedankenanstöße bekommen und neue Impulse für unser Zusammenleben erhalten. Pauschale Einschätzungen und Tipps kann es meiner Meinung nach nicht geben, weil unsere Kinder ja nicht “nur” autistisch sind, sondern auch ihre ganz eigene Lebensgeschichte mitbringen: Die Eltern, Familien, das Umfeld, Erlebnisse, Rahmenbedingungen, Wünsche, Träume, Erwartungen, individuelle Handicaps, Fähigkeiten und Talente…
Hier sind dann Eltern gefragt, die das manchmal rätselhafte Verhalten ihrer Kinder deuten müssen. Dabei helfen die Informationen und Erfahrungen anderer AutistInnen, die man dann mit der Lebenssituation und -geschichte des eigenen Kindes verknüpfen muss.
Zu bloggen bedeutet auch, sehr viele Menschen zu erreichen. Wie fühlst du doch damit?
Das Schreiben über das eigene Leben und das eigene Kind ist für mich immer wieder eine Gratwanderung zwischen „wie viel erzähle ich?“ und „was bleibt privat?“. Den Namen meines Sohnes habe ich für „Ellas Blog“ abgeändert, aber wer uns kennt, weiß natürlich trotzdem, wer er ist. Sehr intime Details schreibe ich nicht im Blog, denn manche Dinge gehören einfach nicht in die Öffentlichkeit. Wenn ich mir nicht sicher bin, frage ich Niklas vorher, ob ich etwas Bestimmtes veröffentlichen darf. Grundsätzlich ist die Form der Aufklärung, die ich gewählt habe, einfach eine sehr persönliche. Aber ich staune immer wieder darüber, wieviel von meinen LeserInnen zurückkommt und bin äußerst berührt, wenn sie mir im Gegenzug ihr Vertrauen schenken.
Etwa die Hälfte der Autist*innen ist selbstständig und verhältnismäßig unauffällig. Ihre größere Präsenz wird immer wieder kritisiert, statt sie als Botschafter*innen und Wegbereiter*innen zu sehen. Welche Wünsche hast du an sie?
Meiner Meinung nach gibt es nichts daran zu kritisieren, dass AutistInnen selbst für ihre Rechte eintreten, über ihre Leben schreiben und darüber, was sie brauchen und was berücksichtigt werden muss. Im Gegenteil – das muss so sein.
Ich wünsche mir, dass dabei diejenigen AutistInnen, die nicht selbst für sich sprechen können, weil sie die Handlungskompetenz oder die kommunikativen Fähigkeiten nicht haben, nicht vergessen werden. Ich trete als Mutter so gut es geht für die Belange meines Kindes ein und viele andere Eltern tun das auch. Notwendig ist meiner Meinung nach ein konstruktives Miteinander. Dabei sollten Eltern – und im Übrigen auch Fachleute – die Kompetenz von AutistInnen anerkennen, aber umgekehrt sollten Eltern in ihrer Rolle respektiert werden, auch wenn sie, wie ich, neurotypisch sind. Wenn jeder seine Ressourcen, sein Wissen und seine Erfahrung einbringt, erreichen wir am allermeisten für alle AutistInnen.
Und ich wünsche mir, dass man sich gegenseitig dabei unterstützt, Aufklärung zu betreiben. Dabei wäre es schön, wenn z.B. auf Blogs alle Formen von Autismus zur Sprache kommen. Es muss nicht ausgewogen der Fall sein, denn dann würde die individuelle und authentische Note jedes Einzelnen verloren gehen – aber möglichst viele sollten aufmerksam füreinander sein und sich gegenseitig mit den jeweiligen Bedürfnissen zur Sprache bringen. Ich versuche das, so gut ich kann, auf „Ellas Blog“ umzusetzen.
Und dann wünsche ich mir noch, dass man bei Missverständnissen das Gespräch sucht. Wohlbemerkt meine ich damit sowohl neurotypische wie auch autistische Menschen und Schreiberlinge unter uns. Es bleibt nicht aus, dass Dinge geschrieben oder gesagt werden, die erklärungsbedürftig sind. Es wäre gut, wenn sich alle angewöhnen, in einem solchen Fall direkt nachzufragen bzw. denjenigen anzuschreiben, der einen irritiert oder geärgert hat. Meiner Erfahrung nach lassen sich so schon viele Spannungen aus der Welt schaffen, ohne dass sie großen Wirbel verursachen müssen – und im Grunde wollen wir ja alle das selbe: Aufklärung und Solidarität zum Thema Autismus.
Da kann ich nur bestätigend nicken. Es ist wichtig, dass wir alle respektvoll, achtsam und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Danke, Silke, für deine Worte!
Mehr von Silke und Niklas lest ihr auf ellasblog.de.