Wie geht es autistischen Menschen am Arbeitsplatz? Sprechen sie über ihre Diagnose oder verheimlichen sie sie? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Wie gestalten sie ihren Tag? Mit welchen Schwierigkeiten sind sie konfrontiert?
Diese Fragen durfte ich mehreren Autist*innen stellen.
Teil 1 der Serie: Claudia: “Durch meine Offenheit ergänzen wir uns gut.”
Teil 2: Simone: „Manchmal geht es auch ohne institutionelle Hilfen.“
Teil 3: Klara: “Sich als Psychologin mit Autismus zu outen würde nicht gut ausgehen.”
Paul: „Entspannung ist eher schwierig für mich, weil ich einer der Menschen bin, die immer Input brauchen.“
Auch Paul hat einen Job, in dem man Behinderung und Neurodiversität nicht vermutet. Für ihn ist das ein Grund, nicht offen über seine Diagnosen zu sprechen – auch, wenn er das gern würde.
Hallo Paul! Was machst du beruflich?
Ich bin freier Journalist.
Du wurdest als Erwachsener mit Autismus und ADS diagnostiziert. Wie kam es dazu?
Im Gespräch mit einer autistischen Person merkte diese irgendwann an, dass Dinge, die ich ihr über mich erzählt habe, zu Autismus passen würden und ich mal eine Diagnostik machen sollte.
Wie äußert sich beides in Kombination im Berufsalltag? Macht es dir die Arbeit leichter oder schwerer? Beeinflusst es den Kontakt zu deinen Kolleg*innen?
Den Alltag macht es auf jeden Fall schwieriger. Ohne Ritalin habe ich große Probleme mich auf die Arbeit zu fokussieren und wenn ich Aufträge ohne klare Deadlines habe, fällt es mir sehr schwer, mich an die Aufgabe zu machen. Dafür helfen mir die Strukturen, die ich entwickeln musste, um meinen Alltag auf die Reihe zu kriegen, sehr gut dabei unter Zeitdruck zu arbeiten.
Wo viele Kolleg*innen sichtbar gestresst sind, musste ich zwangsläufig eine Art Handwerkszeug entwickeln, von dem ich weiß, dass es funktioniert. Und weil ich mich eben darauf verlassen kann, weiß ich, wie ich vorgehen muss, um die jeweilige Aufgabe zu erfüllen. Deshalb bin ich in solchen Situationen sehr viel entspannter, als andere.
Für den Kontakt mit Kolleg*innen ist der Autismus aber auf jeden Fall nicht hilfreich. Mir fällt es schwer Smalltalk zu führen und allgemein ist soziale Interaktion nicht gerade meine Stärke. Dazu kommt in lauten Großraumbüros das Problem, dass ich alles um mich herum wahrnehme und verarbeite. Ich höre also immer alle Gespräche, was es unglaublich schwierig macht, sich auf eins davon zu konzentrieren.
Im Joballtag sprichst du nicht offen über deine Diagnosen. Belastet es dich? Erschwert es deine Arbeit?
Belasten tut es mich nicht wirklich, weil ich ohnehin nicht zu den Menschen gehöre, die zwangsläufig mit ihren Kolleg*innen befreundet sein und alles miteinander teilen wollen. Andererseits wäre es manchmal sicher einfacher, wenn sie davon wüssten, weil sie dann natürlich leichter auf manche Bedürfnisse von mir eingehen könnten.
Du wünscht dir also, offen mit deiner Neurodiversität umgehen zu können?
Ja, eben weil ich so eben leichter bestimmte Eigenheiten und Bedürfnisse begründen könnte. Aber gerade in meinem Berufsfeld ist das Risiko hoch. Einmal weil ich Freiberufler bin und damit keinen besonderen Schutz genieße und außerdem möchte ich nicht nur noch über Autismus und ADS berichten. Ein Problem, das sicher auch viele POC oder weibliche Kolleg*innen kennen: Man wird schnell in eine Schublade gesteckt und soll dann nur noch über seine eigene Betroffenenheit schreiben. Da habe ich keine Lust drauf.
Hast du schon einmal berufliche Hilfsangebote in Anspruch genommen? Ein Job-Coaching oder eine andere Maßnahme?
Nein.
Hast du dir die professionellen Soft Skills, die Menschen mit einer Neurodiversität oft so schwer fallen, selbst erarbeitet und kannst Ratschläge für das Erlernen geben?
Ich habe erst Mitte/Ende 20 meine Diagnosen bekommen, darum habe ich meine Softskills über die Jahre eher unbewusst entwickelt. Das macht es schwer, Tipps dazu zu geben.
Wie entspannst du dich nach einem harten Arbeitstag oder einem längeren Projekt?
Entspannung ist eher schwierig für mich, weil ich einer der Menschen bin, die immer Input brauchen, um nicht durchzudrehen. Ich lese also viele Artikel, höre Podcast oder schaue Youtube-Videos zu Themen, die mich interessieren. Das beeinflusst aber natürlich dann auch direkt wieder meine Arbeit, das heißt ich schalte nie so richtig ab.
Tauscht du dich mit anderen Neurodiversen aus? Zum Beispiel über Probleme, Sorgen und Themen, die klar mit unserem Sein zusammenhängen?
Nicht wirklich.