Eines der Diagnosekriterien für das Autismusspektrum ist ein Defizit in der sozialen Kommunikation und Interaktion. Das kann die Wechselseitigkeit von Kommunikation betreffen oder das Teilen von Interessen. Auch das Initiieren von Kontakten und Gesprächen kann herausfordernd sein. Oft haben autistische Menschen Probleme, nonverbale Kommunikation zu verstehen. Dazu gehören Körpersprache und Mimik. Manche Autist*innen haben auch selbst eine eingeschränkte Mimik und eine reduzierte Körpersprache.
Als Person im Spektrum ist man all das von Geburt an gewohnt. Manchen gelingt es trotzdem, Freundschaften und Partnerschaften zu führen. Andere finden alternative Möglichkeiten oder sind mit wenigen Kontakten zufrieden. Viele Autist*innen berichten aber auch von Einsamkeit und vermissen es, Menschen um sich zu haben, mit denen sie enge soziale Beziehungen führen können.
Durch die Covid 19-Pandemie, die dadurch folgende Ausgangsbeschränkung und die Anweisung zum Social Distancing ist vieles, was man bisher im sozialen Miteinander gewohnt war, anders.
Manches davon kommt Autist*innen sehr entgegen: Das lästige, oft unangenehme Händeschütteln fällt weg, Menschen weichen sich in der Öffentlichkeit aus und für viele Termine und Erledigungen gibt es digitale Alternativangebote.
Anderes wiederum ist schwerer geworden. Freund*innen und die eigene Familie zu treffen ist kaum möglich. Treffen mit anderen Menschen sind ebenso ausgesetzt wie Selbsthilfegruppen. Das kann ängstigen. Manche autistische Menschen fürchten nun, ihre Freundschaften nicht oder nur unzureichend halten zu können oder sie sogar zu verlieren.
Es gibt in dieser schwierigen Zeit jedoch einige Möglichkeiten, weiterhin soziale Kontakte zu pflegen und gegen die Einsamkeit vorzugehen.
WhatsApp, Telegram und Signal
Chatgruppen in den gängigen Messengern sind vielen verhasst. Sie können aber auch positiv wirken. Gruppenchats mit wenigen nahestehenden Personen, in denen man Schönes ebenso teilt wie Sorgen, in denen man sich über Filme und Serien austauscht, die man gerade gemeinsam sieht, können eine positive Alltagsbereicherung sein, aus der man sich einfach ausklinkt, wenn sie überfordert.
Facetime, Skype und Zoom
Videotelefonate sind eine großartige Möglichkeit, im Kontakt zu bleiben. Vertraute Gesichter zu sehen tut vielen Menschen gut. Aber auch diese Art Kontakt kostet autistische Personen Kraft. Doch nicht jedes Videotelefonat muss einen verbalen Fokus haben. Es kann bereichernd und beruhigend wirken, wenn man einander beim Aufräumen, Bügeln oder Arbeiten zusieht und so den Alltag miteinander teilt. Gemeinsam zu kochen oder zu essen ist genauso möglich, wie sich etwas vorzulesen. Es ersetzt natürlich keinen physischen Kontakt, kann aber stabilisierend wirken.
Durch das Wegfallen der physischen Treffen kann es aber auch vorkommen, dass man mit Gesprächsanfragen geradezu überrollt wird. Die Masse an Gesprächen kann Tagesroutinen durcheinanderbringen und zu viel Energie verbrauchen. Es wird dir sicher niemand übel nehmen, wenn du in solchen Fällen mit einem Terminplan arbeitest. Plane nur so viele Gespräche pro Tag ein, wie du gut bewältigen kannst und sage ab oder verschiebe, wenn du merkst, dass deine Kräfte zuneige gehen. In den Zeiten, in denen auch Menschen ohne Neurodiversitäten stark eingeschränkt und belastet sind, werden Empfindungen wie Überforderung, Kraftlosigkeit und Bedürfnisse nach Tagesstruktur situativ besser verstanden.
Analoge Kommunikation
Nicht jede Kommunikation muss digital stattfinden. Man kann freie Zeit zum Beispiel dafür nutzen, Briefe oder Postkarten zu schreiben. Das ist gleichzeitig eine gute Möglichkeit, sich kreativ auszutoben. Viele Menschen im Spektrum verfügen über eine sehr hohe Kreativität, haben Zeichentalent oder sind gestalterisch begabt.
Dummerweise hat man nur noch selten Briefmarken daheim. Mit Postkarten-Apps kann man einander Karten senden, ohne Briefmarken kaufen zu müssen. Sowohl die deutsche, als auch die österreichische Post bieten diese Apps an.
Kontaktlose Aufmerksamkeiten
Auch mit einem kleineren Budget kann man Menschen eine große Freude machen. Du hast zu viel gebacken? Möchtest einer Freundin unbedingt ein bestimmtes Buch geben? Wenn die Person fußläufig erreichbar ist, nutze einen Spaziergang und bring es ihr vorbei. Wenn du läutest und das Päckchen oder eine Tüte vor die Tür stellst, kannst du jemandem kontaktlos und ohne Infektionsgefahr eine große Freude machen.
Viele Floristen und Gärtnereien liefern gerade wunderschöne Blumensträuße und Pflanzen aus. Auch das kann man nutzen und einer Person (oder sich selbst) damit die Laune heben.
Listen
Listen sind für viele Autist*innen ein gutes und vertrautes Werkzeug. Auch bei diesem Thema kann man sie gut einsetzen. Eine Liste zu erstellen und mit anderen zu teilen, in der man plant, was man nach der Ausgangsbeschränkung miteinander unternehmen möchte, erzeugt Vorfreude und setzt positive Impulse für die unsichere Zukunft. Darüber zu sprechen und die Liste zu erweitern kann helfen, wenn die Ängste in der jetzigen Situation zu intensiv werden.
Eine große Anzahl geplanter Aktivitäten kann natürlich auch Druck erzeugen. Dem kannst du gut entgegenwirken, indem du darüber sprichst, indem ihr keine konkreten Zeiten für das Geplante vereinbart und alle Pläne generell optional sammelt. Diese Ideensammlung soll vor allem Freude machen und keine stressige Pflichterfüllung für spätere Monate darstellen.
Ehrliche, offene Kommunikation
Den herausforderndsten Punkt habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Ich halte ihn gleichzeitig für den relevantesten. Melde dich aktiv bei Menschen, wenn es dir nicht gut geht oder du dich von Einsamkeit übermannt fühlst. Sag ihnen, wie du dich fühlst. Es kostet manchmal viel Überwindung, zu sagen “Hey, es geht mir heute schlecht” oder “Ich fühle mich einsam, kannst du…?”. Oft ist die Angst, sich auf diese Art verletzlich zu machen, nicht gerechtfertigt. Die aktuellen Geschehnisse sind für alle Menschen sehr schwer zu verarbeiten und zu bewältigen. Hilfsbereitschaft und das füreinander da sein ist aktueller und wichtiger denn je. Deine Bedürfnisse nach Kontakt, Unterstützung und Gesprächen werden vielleicht sogar besser verstanden, wenn andere Menschen ähnliches erleben. Das ist auch nicht egoistisch, denn wer weiß. Beim nächsten Mal bist vielleicht du die Person, an die sich jemand vertrauensvoll mit solchen Gefühlen wendet.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Kontakte halten und sogar vertiefen kann, ohne sich zu sehen. Die Gefahr, einander aus dem Blick zu verlieren ist derzeit vielleicht sogar geringer als zu Zeiten, in denen man vor allem auf persönliche Treffen fixiert war. Suche dir den Weg, mit dem du am angenehmsten und barriereärmsten die lieben Personen in deinem Leben kontaktieren möchtest.