„Sie wollen also nicht angefasst werden.“

Als ich die Arzthelferin leise darüber informierte, dass ich Autistin sei und auf ihr Entgegenkommen in Sachen Kommunikation angewiesen bin, konnte man sehr gut beobachten, wie sich ihr Gesicht Muskel für Muskel zu einer abweisenden Grimasse verzog und sie fauchte „Jaja, ich sage es dem Arzt, gehen Sie mal ins Wartezimmer.“
Aber ich musste es ihr ja mitteilen, vor allem, um Kommunikationsproblemen vorzubeugen. Meine Schilderungen von Schmerzen und Beschwerden sind wohl derart neutral und distanziert, dass man mir oft schlicht und ergreifend nicht glaubt, mich nicht ernst nimmt oder mir unterstellt, ich würde simulieren.

Verunsichert schlich ich durch einen Wald aus Schildern, die mir die Nutzung meines Mobiltelefons untersagten, ins Wartezimmer, wo bereits ein älterer Mann saß, der gähnend braun-gelben Schorf von seinem Bein kratzte. Die herunterfallenden Schorfstückchen bildeten interessante Farbakzente auf dem grauen Teppich. Ich zückte mein Mobiltelefon, um ebendies dem Internet mitzuteilen.
Kaum saß ich dort, brüllte die Helferin auch schon meinen Namen und schickte mich in ein winziges Sprechzimmer, in dem ich angespannt vergilbte Schautafeln betrachtete, bis der Arzt unerwartet und sehr dynamisch die Tür aufriss und hineinstürmte, so schnell, dass ich kurz befürchtete, er würde schwungvoll durch den Raum gegen die Wand laufen und wie ein Flummi wieder von ihr abprallen.
„So, Frau H.“, rief er munter, seine Stimme brach sich an den größtenteils kahlen Wänden, so dass mir die Worte wie Geschütze um die Ohren flogen. „Sie wollen also nicht angefasst werden.“
Er streckte mir die Hand entgegen, die ich irritiert anstarrte und widerwillig ergriff.
„Da kommen wir aber nicht drum herum.“
Nach kurzer Schilderung meiner Kniebeschwerden wies er mich an, Schuhe und Hose auszuziehen, auch diese komische Jacke, die so schlabbert, die stört doch nur und dann rauf auf die Liege und bitte ganz entspannt bleiben. Er tätschelte meine auf dem Bauch verschränkten Hände, deren Knöchel vor „Entspannung“ weiß hervortraten. Das lief ja großartig.
„Ich fasse jetzt ihre Beine an“, warnte er und wir kicherten gemeinsam ein bisschen, als er sie auf und ab bewegte, kicherten so lange, bis er meine Kniescheiben mit Druck hin und her schob. Da lachte er allein weiter, ich biss stattdessen vor Schmerz beinahe in das Polster.
Zur weiteren Abklärung sollten nun Röntgenaufnahmen gemacht werden. Schnell schlüpfte ich wieder in Hose und Schuhe und wollte gerade zurück ins Wartezimmer gehen, als eine andere Helferin meinen Namen schrie und mich in einen Raum brachte, der das älteste Röntgengerät dieser Welt beherbergte, vermutlich hat man es aus dem Museum für Medizintechnik entliehen. Schwer hing es von der Decke, wie ein schlafendes Tier aus Metall und brummte dunkel und behaglich. Die Arzthelferin ließ eine Bleischürze auf meinen Hintern knallen. Ich konnte mir gerade so ein schmutziges Lachen verkneifen, da schob und zerrte sie mich schon in Position. Ein bisschen schämte ich mich nun für die pinkfarbene Unterhose, auf der „Throwback Thursday“ stand, doch ich habe nun einmal eine große Schwäche für jegliche Art Kleidung, die mit den Wochentagen bedruckt ist und das Höschen passte hervorragend zu meinen Socken, die ebenfalls darauf hinwiesen, dass heute Donnerstag ist. Surrend machte das Strahlentier Bilder von meinen Gelenken. Von oben und unten, rechts und links, nichts blieb ihm verborgen.
Kaum steckte ich wieder in meiner Hose, rief man mich schon wieder und so langsam fragte ich mich, ob ich denn in einer Liebesbeziehung mit dem Praxisteam bin, Status „es ist kompliziert“, so oft, wie man hier meinen Namen schrie.
Der Arzt betrachtete die Aufnahmen meiner Knie und kam zu dem Entschluss, dass bei mir einiges schief sei und anderes zu weich und ja, doch, das kann ich bestätigen. Aber was soll man schon tun als schiefer, weicher Mensch?
„Härter werden“, sagte der Doktor. „Das muss alles härter werden.“

7 Gedanken zu „„Sie wollen also nicht angefasst werden.“

  1. Hmm. Das klingt für mich nach einem Arzt den ich nie wieder aufsuchen möchte. Ich kann den „Autismus“ Teil nicht recht beurteilen, aber da wurden doch wohl einige Grenzen deutlich überschritten. Ich hoffe Du hast noch (Arzt-)Alternativen.

  2. Pink Thursday wäre zu niedlich gewesen als Titelpost … aber so schlimm wohl die Zeit dort war, so schön ist doch die Geschichte dahinter verfasst. Der Leser weiß danach nicht so recht- so geht es mir zumindest -, ob er Lachen oder Weinen darf. Der Empörung steht dagegen nichts im Weg.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neunzehn − drei =

* Bitte Datenschutzbedingungen akzeptieren

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.