Die Sekte der Menschen, die glauben, dass Impfungen Autismus verursachen

Impfgegner Autismus

Ein Gastbeitrag von Misha Verollet. Der Artikel erschien zuerst auf englisch hier.

Es gibt eine lautstarke Bewegung, die behauptet, dass Impfungen Autismus verursachen. Bis heute gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis für diesen Mythos; im Gegenteil, die Beweislage ist überwältigend und eindeutig. Es gibt schlichtweg keine Verbindung zwischen Autismus und Impfungen. Die CDC zählt Impfungen zu den 10 größten medizinischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Unbeeindruckt davon hält die Sekte der Impfgegner an ihrem Weltbild fest, mit katastrophalen Auswirkungen für die Gesellschaft.

Mein Lieblingswitz geht so:

Was ist der Unterschied zwischen Impfgegner und den Zeugen Jehovas? Zeugen Jehovas lassen nur ihre eigenen Kinder sterben.

Leider ist das nicht nur ein Witz. Während Zeugen Jehovas dafür berüchtigt sind, ihre Ablehnung von Bluttransfusionen über das Leben ihrer Liebsten zu stellen, sind Impfgegner für den Tod auch von Kindern anderer Eltern verantwortlich, wie zuletzt in Rumänien.

Alles begann mit der völlig vermasselten Studie eines gewissen Andrew Wakefield, der als einer der ersten eine Verbindung zwischen dem MMR-Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln und Autismus in den Raum stellte. Seine Studie schuf eine Bewegung von Eltern, die Impfungen pauschal ablehnen, was ursächlich das Wiederaufleben der Masern zur Folge hatte. Die Impfgegner-Sekte war geboren (dieser Comic illustriert das recht anschaulich).

Bloß war der in der Studie angeblich geführte Beweis ein Hoax. Seit dem Erscheinen wurde die Studie als betrügerisch überführt. 10 der Co-Autoren zogen 2004 ihre Namen von der Veröffentlichung zurück. Eine Wiederholung der Studie in 2008 widerlegte Wakefields Ergebnisse und stellte fest, dass es keinerlei Verbindung zwischen Impfungen und Autismus gibt. Die Studie wurde von der Publikation The Lancet zurückgezogen.

Darüber hinaus wurde Wakefields wissenschaftliche Herangehensweise in Frage gestellt. Die Datenbasis von gerade mal 12 Kindern war viel zu klein, um signikant zu sein. Zum Vergleich: Eine Studie von 2009, die Wakefield widerlegt, untersuchte über 95.000 Kinder.

Ethische Bedenken gab es auch. Untersuchungen zufolge hatte Wakefield Beratungshonorare von den Anwälten der Eltern kassiert, die eine Klage darüber führten, ob die MMR-Impfung den Autismus ihrer Kinder verursacht hatte. 11 von 12 Kindern in der Studie waren Teil der Klage. Damit nicht genug: Kurz zuvor hatte Andrew Wakefield versucht, einen Impfstoff zu patentieren, der den MMR-Impfstoff ablösen sollte. Er hatte also ein konkretes finanzielles Interesse am Ergebnis seiner eigenen Studie.

Ein Untersuchungsausschuss warf Andrew Wakefield in der Folge Versagen vor, er habe sich zudem in Bezug auf seine Studie betrügerisch und unverantwortlich verhalten.

Interessanterweise schrieben die Autoren der Studie damals, dass es ihnen nicht gelungen war, eine Verbindung zwischen dem MMR-Impfstoff und Autismus herzustellen. Davon ließen und lassen sich Impfgegner-Eltern bis heute nicht beirren. In ihren Augen ist Andrew Wakefield ein Märtyrer, ein Held. Kürzlich sagte Wakefield nochmal: “Ich bin überzeugt, dass der MMR-Impfstoff zur Autismus-Epidemie beiträgt”.

Bloß tut er das nicht. Es gibt keinen einzigen Beweis für diese Behauptung. Das sind die Fakten:

Die einzige rationale Schlussfolgerung daraus ist: Impfungen verursachen nicht Autismus. Punkt.

Dummerweise sind Sekten selten rational – und bei der Impfgegner-Bewegung muss man von einer Sekte ausgehen. Selbst, wenn man das Gegenteil beweisen kann, beharren Sekten auf ihrem Standpunkt. Schließlich ist es einfacher, Scheuklappen aufzusetzen, als das eigene Weltbild in Frage zu stellen. Man kennt das von Sekten wie Scientology oder den Zeugen Jehovas, und es gilt leider auch für die Impfgegner-Bewegung.

Diese Bewegung hat keine Argumente. Es gibt keine Beweise, die ihren Standpunkt untermauern. Abgesehen von Wakefields betrügerischer Studie, fußt ihre ganze Beweisführung auf Hörensagen und Youtube-Videos mit Aufmerksamkeit suchenden Scharlatanen.

Zwei ihrer wichtigsten Argumente lösen sich in Wohlgefallen auf, wenn man sich fünf Minuten mit ihnen beschäftigt.

Da ist zum einen der angebliche Kronzeuge William Thompson, der der CDC vorwirft, bei einer Studie geschlampt zu haben. Dieser William Thompson wird immer wieder als Beweis dafür angeführt, dass Impfungen Autismus verursachen. Nur hat er das nie gesagt. Er stellt in seinen Aussage sogar ausdrücklich fest, dass Impfungen sicher sind und er keine Verbindung zwischen dem MMR-Impfstoff und Autismus entdecken konnte. Alles, was er bemängelte, war der interne Umgang mit der Studie. Und das ist gut so – aber als Beweis für die Impfgegner taugt er trotzdem nicht.

Zum anderen gibt es den seltsamen Fall von Hannah Poling. Impfgegner führen sie immer wieder an, weil ihre Eltern in der Tat eine Entschädigung erhielten, nachdem Hannah geimpft worden war. Aber beschäftigt man sich näher mit diesem Fall – über das sehr einseitige Youtube-Video der Aussage der Eltern hinaus –, findet man heraus, dass die Kriterien der Behörde, Entschädigungen zu zahlen, keine wissenschaftlichen Voraussetzungen erfüllten. Außerdem wurde zu keinem Zeitpunkt, weder von untersuchenden Ärzten noch von der Behörde, bei Hannah Autismus diagnostiziert, geschweige denn eine Verbindung zwischen Impfungen und Autismus. Im Gegenteil: Ihre angebliche autistischen Symptome waren ganz klar auf eine Enzephalopathie in Folge eines mitochondrialen Enzym-Defizits zurückzuführen. Für alle – bis auf ihre Eltern – war völlig klar: Hannah Poling ist nicht Autistin.

Und wieder fällt ein Kartenhaus der Impfgegner-Sekte zusammen. Interessiert das die Bewegung? Natürlich nicht.

Sekten sind Wissensgemeinschaften, die sich gegen Kritik von innen und außen immunisieren. Deshalb muss man die Impfgegner-Bewegung als Sekte einordnen. Die leider Gottes immer mehr Zulauf bekommt, nicht zuletzt durch prominente Jünger wie Jenny McCarthy, Robert Rodriguez und Robert de Niros Frau. Das alles führte zur schlimmsten Masern-Epidemie der letzten 20 Jahre.

Wie in allen Sekten, sind Kinder die Leidtragenden. Aber nicht nur die eigenen, was die Impfgegner zu einer der gefährlichsten und tödlichsten Sekten weltweit macht. Impfgegner-Familien gefährden Kleinkinder, die noch zu jung sind, geimpft zu werden. Sie vertrauen auf die Herden-Immunität – aber das interessiert die egoistische Impfgegner-Sekte nicht. Über 150.000 Menschen sind überflüssigerweise ihretwegen erkrankt, über 9000 gestorben. Die Zahl der nachweislich aufgrund von Impfungen autistisch gewordener Menschen dagegen? Null.

Und am Ende ist das alles auf eine einzige betrügerische Studie aus dem Jahre 1998 zurückzuführen. Es gibt schlichtweg keinen Beweis, dass Impfungen Autismus verursachen. Moment, ich korrigiere: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis.

So wie Gottes Hilfe und die Macht des Gebetes beruht die gesamte Impfgegner-Sekte auf Hörensagen, auf sogenannter anekdotischer Evidenz. Während die evidenzbasierte Wissenschaft auf Empirie und Falsifizierbarkeit vertraut, funktioniert die anekdotische Evidenz von Alternativ-Medizin-Fans, Verschwörungstheoretikern, Esos und Impfgegnern so:

„Ich habe da mal was gehört“ … „Jemand, den ich kenne, dem sein Kind hat Autismus wegen einer Impfung.“ … „Schau dir mal dieses Interview auf Youtube an.“ … „Meine Cousine hat eine Arbeitskollegin, die.“ … „Nee du, der Lügenpresse vertraue ich nicht, die werden doch von der Regierung bezahlt, da vertraue ich lieber diesem anonymen Blog ohne Impressum, aber mit Ausrufezeichen.“

Das ist die Beweisführung der Impfgegner-Sekte. Aber das sind keine Beweise. Das sind Anekdoten, und Anekdoten beruhen auf Korrelationen. Aber Korrelationen sind nicht Kausalitäten. An dieser Herangehensweise ist nichts wissenschaftlich. Und das wiederum macht Impfgegner zu einer pseudoreligiösen, fanatischen Bewegung, oder: eine Sekte.

Denn es ist so. Wenn für dich anekdotische Evidenz mehr zählt als evidenzbasierte Wissenschaft, dann habe ich den ultimativen Beweis, dass der Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln nicht Autismus verursacht:

Ich wurde als Kleinkind nicht geimpft. Ich hatte die Masern, ich hatte Mumps und ich hatte Röteln. Ich bin trotzdem Autist. Und jetzt kommst du.

5 Gedanken zu „Die Sekte der Menschen, die glauben, dass Impfungen Autismus verursachen

  1. Was bedeutet der Satz „Und jetzt kommst du“ am Ende des Artikels? Was soll ich tun, nachdem ich den Artikel gelesen habe? Zu was will dieser Satz mich auffordern?

    Ich stimme dem Artikel inhaltlich vollständig zu. Aber dieser letzte Satz verwirrt mich. Welche Handlungsoptionen habe ich denn? Welche konkrete Handlung möchte der Artikel damit in mir auslösen?

  2. Sekten: es gibt Impfgegner-Sekten und Impfgegner-Gener-Sekten. Es gibt Wakefield-Anhänger und Wakefield-Gegner. Dieser Artikel zeigt für mich eine genauso (nur anders) beengte Sichtweise wie die der Impfgegner. Man sollte so wenig wie möglich aber so viel wie nötig impfen. Wir haben unserer Tochter z. B. kein Silbernitrat in die Augen träufeln lassen, weil in unseren Breiten die Zahl der Neugeborenen, die Augenentzündungen aufgrund von Silbernitrat bekamen, höher ist als die, die Augentripper während der Geburt bekamen. Zumal die Kindsmutter nachweislich keine Gonokokken beherbergte. In anderen Gegenden der Welt mag das anders sein und sollte auch anders gehandhabt werden. Impfen rigoros abzulehnen ist genauso falsch wie kritiklos zu bejahen. Wozu hat der Mensch den Kopf? Nich nur zum Haareschneiden. Und das Internet nicht nur zum Pornokucken.
    Was Wakefields Studie angeht, ist sie, soviel ich mitgekriegt habe, von beiden Seiten missverstanden worden. Interessant ist, dass die Mitautoren sich zurückgezogen hatten, als Wakefield der Buhmann geworden war. Was auch nicht gerade für Souveränität und Rückgrat spricht.

  3. Liebe Marlies,

    Vielen Dank! Dein Text bringt auch meine Ansicht zu diesem Thema auf den Punkt. Ich habe ihn daher auf meinem Blog verlinkt. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich. Falls es doch Probleme damit geben sollte, melde dich bitte bei mir.

    Liebe Grüße
    hataibu

  4. Dito. HAtte auch alle Kinderkrankheiten, trotzdem bin ich Autistin. Bin froh in einer Gegend zu wohnen wo die Impfgegner noch nicht so präsent sind und ich deswegen keinen Stress mit meinen Kindern hatte

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