Eines ist sicher: Wir brauchen das Gefühl von Sicherheit und tun viel dafür.
Menschen machen ihre Wohnungen kindersicher, ihre Kabel haustiersicher, ihre Haustüren einbruchssicher, ihre Altersvorsorge krisensicher. Ich mache mein Leben overloadsicher.
Overloads, das sind diese Zustände, in denen nichts mehr geht, die man kaum erträgt und die alles zum Stillstand bringen. Overloads, das sind diese Situationen, die zum Leben mit Autismus einfach dazugehören. Man muss immer damit rechnen, in einen hineinzurutschen, wenn Reize auf das eigene Gehirn einprasseln wie Schlüpfer auf Justin Bieber, doch im Gegensatz zu Justin kann man als Autist*in nicht einfach mal von der Bühne gehen und im Backstage ordentlich Dampf ablassen, nein. Man steckt weiter im Alltag und sollte doch bitteschön so unauffällig wie möglich bleiben.
So ein Overload ist vor allem eins:
Wirklich schwer zu erklären. Im Prinzip hängt sich das Gehirn auf, wie sich eine Festplatte aufhängt, nur, dass man auf mir herumdrücken kann, wie man will, ich lege einfach keinen Neustart hin. Er entsteht, wenn man aufgrund von Überlastung nicht mehr in der Lage ist, Sinneseindrücke, Reize und Informationen weiterhin wie gewohnt zu verarbeiten und ist nicht zu vergleichen mit Überforderungs- oder Stresssituationen von Nichtautisten. Wenn ich statt Overloads “nur ein bisschen Stress” hätte, wie es die über Nacht zum Autismusexperten gewachsenen Mitmenschen gelegentlich meinen, meine Güte, mein Leben wäre so viel angenehmer.
So ein Overload ist noch etwas:
Sehr irritierend für Andere. Leute verstehen nicht, was los ist, wenn man plötzlich schaut wie drei Wochen Zahnschmerzen und keinen geraden Satz mehr sprechen kann, aber vor lauter EsGehtNichtMehr wütend werden, ja, das klappt noch. Statt dann zu sagen „Kein Problem, ich verschaffe dir eine Pause“ glaubt so ein Overloadbeobachter eben, man sei ein bisschen doof, nicht besonders helle, sehr peinlich, leicht verrückt – was die bunte Palette der Vorurteile eben so zu bieten hat.
So ein Overload ist auch:
Unvorhersehbar.
Im Prinzip kann er jederzeit auftauchen, vorausplanen kann man da nichts. Es gibt Tage, da gehe ich morgens zur Arbeit und abends auf ein Konzert, falle erschöpft ins Bett und alles ist leiwand. Und dann gibt es die anderen Tage, die, die nicht so gut enden. Die kündigen sich nicht an, man wacht nicht auf und der Tag sagt „Guten Morgen, gut geschlafen? Nicht? Heute ab 15:30 werde ich übrigens so richtig schlecht, freu dich schon mal drauf“. Nein, das wäre auch zu einfach. Das Ob, Wann und Wie eines Overloads muss man schon selber herausfinden. Auch, wenn es gewisse Parameter gibt, die darauf hinweisen können, man weiß doch nie, wann es passiert. Doch wenn, dann ist es heftig. In einem Overload schmerzt jedes Geräusch, Licht fühlt sich an, als richte man einen Flammenwerfer auf die Netzhaut, Zigarettenrauch und Parfüm wirken wie ein Giftgasangriff und Menschen reden nur noch wirr und unverständlich. Man sieht sich außerstande, Entscheidungen zu treffen, die motorischen Fähigkeiten und der Orientierungssinn brennen gemeinsam durch und alles, was man will, ist Schlaf. Davon aber bitte so viel wie möglich.
So ein Overload ist am Ende:
Erschöpfend. Nachdem man eine Art Datencrash im Kopf hatte, verspürt man erstaunlich wenig Lust, sich dafür noch zu rechtfertigen und will vor allem in Ruhe gelassen werden. Ohne Ruhe nimmt so ein Zustand nämlich kein Ende und man benötigt recht wenige Ratschläge dazu, wie man sich erholen soll oder muss, schließlich weiß man – auch wenn das noch immer auf Unglauben stößt – am besten über sich selbst Bescheid.
Da das Leben aber kein Wunschkonzert ist und man auch im Falle der Überreizung funktionieren muss, kann man zumindest ein paar wenige Vorkehrungen treffen.
Ich habe zum Beispiel keine scharfen Messer im Haus, denn ich muss auch dann eine Mahlzeit zubereiten können, wenn mein Gehirn sich wie Matsch anfühlt und auch ungefähr so gut funktioniert. Da nicht zu essen so einen Zustand noch verschlimmern würde und ich wenig bereit bin, einen Verlust eines oder mehrerer Finger zu riskieren, wenn sich overloadbedingt die Feinmotorik in den Urlaub verabschiedet und man gegen alles rennt, was nicht schnell genug aus dem Weg ist, ist es klüger, mit Küchenwerkzeug zu hantieren, mit dem man nicht einmal schlechte Luft schneiden könnte. Notfalls, kommt es ganz schlimm, gibt es immer noch irgend etwas Tiefgefrorenes in den Tiefen des Gefrierschranks, denn mit dem Lieferservice zu sprechen ist im Overload keine Option.
Meine elektronischen Geräte haben alle gut gepolsterte Schutzhüllen, die auch Stürze überstehen – die Sache mit der Motorik wieder, gell – und ich habe mir angewöhnt, das regelmäßige Backup dieser Geräte auf zweierlei Wege durchzuführen, denn ihr Inhalt ist mir wichtiger als mein rechtes Bein. Nachvollziehbar, finde ich, denn mein rechtes Bein enthält schließlich nicht die Hälfte meines neuen Romans und 99% meiner Sozialkontakte. MacBook und iPhone hingegen schon.
In greifbarer Nähe liegen immer Sonnenbrille, Kopfhörer und Gehörschutz. Egal wann, egal wo. So kann man im Fall der Fälle die Reizintensität herunterregeln und etwas länger funktionieren, wenn es nötig ist.
Wie auch immer ich das geschafft habe, meine Overloads ereignen sich meistens in der Freizeit, abseits der Öffentlichkeit und ich glaube langsam, ich habe eine ähnlich hohe Selbstbeherrschung wie das ganze Marvel-Superheldenkollektiv zusammen, anders kann ich mir das nicht erklären. Vielelicht liegt es aber auch nur daran, dass meine Tage derart präzise durchgeplant und -getaktet sind. Ich weiß genau, wann ich funktionieren muss und wann ich Überlastung zulassen darf.
Andere Autist*innen schaffen das weniger gut oder leben in Umständen, die das nicht erlauben. Sie treffen dann vor allem auf Unverständnis und Intoleranz, geraten sie in Overloads. Das hilft nicht wirklich dabei, besser mit seinem Autismus und was eben so dazugehört, umzugehen und ich kann daher nicht mehr tun, als weiterhin auf Umsichtigkeit und Rücksicht zu verweisen, was Mitmenschen, egal ob mit oder ohne Behinderung, betrifft.
Letztendlich sind Overloads, so wie alles, was mit Autismus zusammenhängt, eine höchst individuelle Sache und jede Erklärung dazu ist am Ende doch lückenhaft, so sehr man sich auch bemüht. Der beste Ratschlag, den man also geben kann, ist jener, ein freundliches, respektvolles Gespräch auf Augenhöhe mit autistischen Menschen zu suchen, wenn man mehr darüber erfahren möchte.
Respekt. Da frag ich mich, wer tatsächlich behindert ist. Du keinesfalls. Ich bewundere Deine Stärke und Weitsicht.
Danke für deinen Beitrag!
ich erlebe auch immer wieder bei/ mit Menschen die im Spektrum sind, dass die Wahrnehmung bzw eine Übersensibilität für Zb Geruch, Geräusche, Berührungen, Licht etc und somit eine schnelle Überreizung eine der größten Herausforderungen im Alltag darstellen. Danke für deine sehr persönliche Beschreibung, es ist glaube ich wichtig zumindest von außen einen Einblick in diese Situation zu bekommen um es ein bisschen besser verstehen zu können. Welchen Gehörschutz verwendest du- noice cancelling headphones?
Was haltest du von dieser App : http://www.upworthy.com/an-autistic-man-made-an-app-to-help-people-help-him-during-panic-attacks
Ich habe von ihr gelesen und fand dass es interessant klingt aber noch von keinem / keiner Betroffenen selbst gehört was sie davon halten würden ( es hängt wahrscheinlich so wie immer stark davon ab wie sich so ein Overload äußert oder nicht und ist wohl sehr individuell..)
Ich glaube der Name Aspie Meltdown ist vielleicht Geschmackssache – der Erfinder fand ihn offensichtlich ganz passend.
Es würde mich sehr interessieren was du davon haltest.
Vielen Dank!
lg
Danke für deinen Kommentar, Katrin.
Zur App: „just give your phone to a stranger“ – ernsthaft? Vielleicht bin ich zu misstrauisch, aber ich denke nicht, dass so etwas zielführend ist. Im Zweifel ist man sein Telefon los oder etwas anderes. Einer fremden Person offen zu kommunizieren, dass man gerade hilflos ist, halte ich für sehr gefährlich. Ich habe ebenfalls ein Problem mit dem Wort „Aspie“. Zum einen sagen wir Autismus und nicht Asperger, zum anderen ist diese Verniedlichung ein Problem, denn so werden wird dann auch wahrgenommen. Als nicht selbstständige, nicht vollwertige Menschen.
Zum Gehörschutz: Ich benutze ganz normale Kopfhörer oder den Bilsom Gehörschutz. Für mich sind die zwei Optionen ausreichend.
ok danke für deine Einschätzung!
Ja der Name klingt ein bisschen Klischee-behaftet, deshalb hab ich auch geschrieben, dass der Name Geschmackssache ist, der Erfinder ist glaube ich selbst Betroffen und nannte es so, ich halte die allgemeine Änderung in Autismus Spektrum auch für sinnvoll. Allerdings erlebe ich es auch von Familien von Betroffenen immer wieder, dass vor allem die Bezeichnung Asperger verwendet wird. Vermutlich dauert es einfach eine Weile bis sich die Terminologie durchsetzt.
P.S.: ich hoffe du hast dich durch die geteilte App und den Namen nicht gekränkt gefühlt!! ich würde es auch nicht so bezeichnen und habe den Link der App nur übernommen da der Autor selbst im Spektrum liegt und ich wissen wollte wie andere Betroffene dies sehen würden.
Ich glaube es gibt viel Literatur und Erfahrungen mit Kindern die im Spektrum liegen und die selbstständig im Leben stehenden Erwachsenen gehen vielleicht manchmal unter. Ich weiß nicht ob dies auch ein Grund für diese Terminologie sein könnte? Umso wichtiger, dass es Frauen wie dich gibt, die sich mitteilen und das Thematisieren!
Nein, bitte denke so etwas nicht. Mir ist es nur im Rahmen dieses Blogs besonders wichtig, so etwas anzusprechen. Wäre ich verletzt, würde ich es konkret benennen.
Das Problem ist aber nicht rein autistisch. Auch Menschen mit Trisomie21 haben das Problem der stetigen Verniedlichung. Auch ganz generell werden Menschen mit Behinderung stark auf ihre Defizite reduziert. Die gesamte Wahrnehmung von Menschen, die von irgend einer Norm abweichen, muss sich ändern.
Liebe Katrin, Liebe Marlies,
ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich mich in eure Unterhaltung einklinke?!
Ich suche derzeit nach einem guten Umgang mit „Overloads“ für mich…
und bin noch weit davon entfernt, sagen zu können, ich hätte die perfekte „Technik“ gefunden.
Die App hab ich mir angeschaut, mit großem Interesse & Zuversicht, denn…
– nein, einem völlig Fremden mein Handy in die Hand drücken, mit solch persönlichen Informationen, mit dem Gefühl „ausgeliefert“ zu sein, der Gefahr „Stigma/Unverständnis/etc.“ käme für mich auch nicht in Frage.
Da bleibe ich lieber dabei, als „etwas anders“ abgestempelt & gemieden zu werden.
– Jedoch möchte ich gerne teilhaben können, an einem „normalen sozialen Leben“, soweit es eben geht,
zumindest innerhalb von Familien- & Freundeskreis.
Die Wenigen in meinem Leben, welchen ich mich anvertraut habe
(… und von diesen 5 verstehen es lediglich 2 zu 50-80%)
sind mit meinen „Overloads“ meist überdiemaßen überfordert.
Zur Belastung des Overloads kommen also noch die Probleme im sozialen Bereich…
ich weiß manchmal nicht, welches dieser Übel das Schlimmere ist.
Ich könnte mir daher sehr gut vorstellen, eine solche App in meinen Alltag zu integrieren,
um mir & meinen Nächsten den Umgang mit meinen Problemen zu erleichtern…
Etwas angepasst/personalisiert würde ich mir Einiges davon erhoffen,
wäre vielleicht einen Selbst-Test wert.
Und falls jemand diesen Text liest und zufällig weitere Tipps und/oder Nützliches zu antworten wüsste,
würde ich mich freuen 🙂
Es grüßt dankend & herzlich
Agnes Joanna
Liebe Agnes Johanna,
dein Einklinken ist auf jeden Fall willkommen.
Ich glaube, das Erkennen, der Umgang damit und am Ende das Verstehen eines Overloads, egal in welcher Form, ist für Nichtautist*innen sehr schwer. Aber nich unmöglich. Vielleicht geht es für nichtautisten gar nicht darum, das wirklich zu verstehen, vielleicht reicht es auch aus, zu akzeptieren, dass so etwas passiert und man damit umgehen muss. Klar, eine Patentlösung gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Overloads unterscheiden sich ja nicht nur von Autist*in zu Autist*in, sondern (zumindest bei mir) manchmal auch von Auslöser zu Auslöser. Da ist es schon schwer genug, das für sich selbst zu analysieren und zu verstehen.
Mit meinem Umfeld habe ich sehr viel Glück, es ist entweder selbst autistisch oder nimmt mich so, wie ich bin. Mit allen Vor- und Nachteilen. Darum habe ich es mir angewöhnt, beim ersten Anzeichen von Überforderung und damit eines nahenden Overloads mehr oder weniger laut „Overload“ zu sagen und mich zurückzuziehen. Keine langen Erklärungen, keine Rechtfertigungen, kein Stress. Das hat die tatsächliche Anzahl der Overloads in Gesellschaft sehr reduziert.
Auch mit den sozialen Problemen habe ich einen sehr eigenen Umgang gefunden. Jeder weiß, dass mir Fehler passieren, Missgeschicke, Fettnäpfchen. Ebenso wie jeder weiß, dass es niemals böse gemeint ist. Ich versuche daher, jedwedes Verstellen und Verbiegen von vornherein zu lassen, ohne natürlich gesellschaftliche Regeln außer Acht zu lassen. Das heißt, ich lebe durchaus meine autistischen Verhaltensweisen aus, achte dabei aber darauf, nicht unhöflich oder verletzend zu sein. Dazu gehört, klar zu sagen, wenn ich etwas nicht verstehe, wenn ich etwas nicht möchte oder wenn mir etwas Angst macht. Und hey, es funktioniert und macht mein Leben sehr viel entspannter.
Ich weiß, nicht jede*r hat die Möglichkeit, derart offen und entspannt mit Autismus umzugehen. Auch bei mir hat es viele Jahre und viele Verletzungen und Traumata gebraucht, bis es halbwegs klappte. Und ohne permanente Kommunikation, ohne Gespräche und Erklärungen geht es nicht. Aber es ist eine denkbare Lösung.
Solltest du die App wie beschrieben testen, würde ich mich sehr freuen, wenn du uns ein Feedback gibst.
Liebe Grüße
Marlies