Rezension: „The Autism Friendly Guide to periods“

Menstruation ist noch immer ein Tabu. Als 2019 ein Menstruations-Emoji in die Liste der offiziellen Emojis aufgenommen wurde, löste es hitzige Diskussionen aus. Dieses Emoji sollte Mädchen und Frauen bzw. Menschen mit Uterus ermutigen, selbstbewusst und selbstverständlich mit ihrer Periode umzugehen.  

Viele User*innen forderten in den Kommentarspalten und sozialen Medien entrüstet die Abschaffung des kleinen, roten Blutstropfens. Sie sahen keine Notwendigkeit, über so etwas wie Menstruation zu sprechen.

Tabu-Thema Menstruation?

Diese Gegenwehr verstärkt das Schamgefühl nur noch mehr, das viele noch immer mit ihrer Menstruation verbinden. Heimlich werden Tampons und Binden herumgereicht und die Frage, ob man denn seine Tage hätte, halten manche Männer noch immer für eine angebrachte Reaktion auf ein für sie unangenehmes Verhalten einer Frau.

Dieses Thema ist also schon für Nichtautist*innen schwierig und herausfordernd. Nicht alle sind über die genauen Details der Menstruation, über die Hormonveränderungen und Symptome aufgeklärt. Noch immer gibt es Fragen, was genau da im Körper geschieht.

Für nichtautistische Menschen ist es trotzdem einfacher, Ansprechpartner*innen zu finden und Fragen zu stellen. Autist*innen haben zum einen Schwierigkeiten in der Kommunikation und wissen nicht immer, wie und von wem sie Informationen erhalten, wie sie derart sensible Gespräche führen können und welche gesellschaftlichen Regeln dafür gelten.
Zum anderen können körperliche Vorgänge, die derart komplex und symptomreich sind, schlicht überwältigend sein. Etwas komplett Neues geschieht, etwas, was sich der eigenen Kontrolle entzieht und dem Leben neue, fremdbestimmte Routinen und Regeln aufzwingt. In diesem Zustand sind Gespräche noch herausfordernder.

Weiblicher Autismus zeigt sich anders

Der Blick auf Autismus war über eine lange Zeit männlich dominiert. Man ging davon aus, dass deutlich mehr Männer als Frauen autistisch sind – ein Irrtum, der nur langsam korrigiert wird. Dementsprechend wurde das Verständnis von Autismus und damit zum Beispiel auch Diagnosekriterien, Hilfsangebote, (Fach-)Literatur und Ratgeberbücher für Betroffene danach ausgerichtet. Autismus bei Frauen zeigt sich jedoch nicht immer so wie bei Jungen und Männern. Er kann subtiler sein. Frauen können unter Umständen viele Symptome besser verbergen. Ihre sozialen Schwierigkeiten werden beispielsweise als Schüchternheit und Introvertiertheit missgedeutet, ihre Spezialinteressen weniger ernst genommen. Bücher, die speziell auf die Lebensrealität autistischer Frauen eingehen, waren lange nicht zu finden. Das änderte sich erst in den letzten Jahren.

Die britische Autorin Robyn Steward hat im Februar 2019 das Buch „The Autism Friendly Guide to periods“ (auf deutsch: „Der autismusfreundliche Ratgeber für Menstruation“) veröffentlicht. Es ist leider nur auf englisch erhältlich, ist aber leicht verständlich geschrieben. Schon seit 10 Jahren veranstaltet die Autistin Kurse zum Thema Autismus und Behinderung für Schulen, Universitäten, Elterngruppen, Kinder und Fachpersonen. 2013 erschien ihr erstes Buch „The Independent Woman’s Handbook for Super Safe Living on the Autistic Spectrum“.

Nicht nur für Frauen

„The Autism Friendly Guide to periods“ richtet sich mit 96 bebilderten und illustrierten Seite vor allem an 9-16jährige Autist*innen mit und ohne Uterus. Doch auch für Eltern, Bezugspersonen und Pädagog*innen ist das Buch lehrreich und mit seiner Art der Informationsvermittlung augenöffnend.

Robyn Steward weiß aus eigener Erfahrung, dass autistische Menschen oft sehr viel mehr Informationen brauchen, um etwas zu verstehen. Für sie ist es ebenfalls wichtig, differenzierte Informationen zu erhalten. Deutlich wird das zum Beispiel auf Seite 18, wo die Autorin die weibliche Anatomie erklärt: „The Ovaries are where eggs grow. These Eggs are very tiny. They are not like chicken eggs.“ (In den Eierstöcken reifen die Eier heran. Diese Eier sind sehr klein. Sie sind nicht wie Hühnereier.)

The Ovaries are where eggs grow. These Eggs are very tiny. They are not like chicken eggs.

(In den Eierstöcken reifen die Eier heran. Diese Eier sind sehr klein. Sie sind nicht wie Hühnereier.)

Robyn Steward

Neurotypische finden das vielleicht amüsant oder unnötig. Autist*innen, die ein stark visuelles Vorstellungsvermögen haben und Dinge sehr wörtlich nehmen, können beim Wort „eggs“ durchaus irritiert sein – vor allem, wenn sie noch nicht ausreichend aufgeklärt sind.

Ich glaubte als Kind viele Jahre lang, man trage Tampons in der Hand und habe bei Frauen auf die Hände geschaut, auf der Suche nach dem blauen Bändchen. Warum? Weil die TV-Werbung in den 90ern eine Frau zeigte, die ihre Hand um einen Tampon schloss und sagte, dieser nehme die Regel dort auf, wo sie passiert. Mein autistisches Gehirn schloß daraus, Frauen menstruieren in der Hand.

Detailierte Informationen geben Sicherheit

Auch Begriffe, die nicht sofort Bilder im Gehirn erzeugen, erklärt die Autorin auf eine sehr verständliche Weise. Ein Zyklus, schreibt sie, ist ein Muster wiederkehrender Ereignisse. Ein Menstruationszyklus ist folglich ein Muster wiederkehrender Ereignisse während einer Menstruation.  Muster spielen im Leben autistischer Personen eine besondere Rolle. Sie brauchen sie in Form von Strukturen und Ritualen, um sich im Alltag zurechtzufinden und sie verfügen über eine besser ausgeprägte Fähigkeit, Muster verschiedenster Arten zu erkennen. Das ist einer der Gründe, warum man Autist*innen gerne in IT-Berufen einsetzt – man nimmt an, sie erkennen Fehler in einem Softwarecode schneller, da diese vom Muster des Codes abweichen.

Das Buch liefert detaillierte Fakten, die für Autist*innen sehr wichtig sind, um sich sicher zu fühlen. Je mehr Informationen zu einem Thema zur Verfügung stehen, desto besser kann man sich zurechtfinden. Informationen sind dadurch ein wichtiger Beitrag zu selbstständigem Handeln. Auf einer Vielzahl von Bildern werden die verschiedensten Menstruationshygieneprodukte gezeigt. Jedes einzelne Produkt verfügt über eine ausführliche, bebilderte Anleitung, die zeigt wie man es anwendet und wie man es entsorgt. Auch die sensorischen Eigenschaften, der Umweltaspekt und die Nachhaltigkeit der Produkte sind Thema.

Abgebildet werden ebenfalls verschiedene Arten von Abfallbehältern und wo diese sich in öffentlichen Toiletten befinden können. Auch für den Fall, dass es keinen Behälter gibt, stellt die Autorin Maßnahmen und Möglichkeiten zur Verfügung. Eine unsichere Autistin kann sich auf diese Art besser in öffentlichen Toiletten bewegen und kommt mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in ihr fremden Umgebungen zurecht.

Prädikat „Empfehlenswert“

Praktische Hilfsmittel wie Menstruations-Apps werden thematisiert und ein Glossar erklärt Emotionen, die mit der Menstruation in Verbindung stehen: Traurigkeit, Wut, Nervosität und viele mehr. Die autistischen Leser*innen dieses Blogs wissen, dass es nicht immer einfach ist, die eigenen Emotionen so zu benennen, dass andere sie verstehen. Ein Glossar dazu kann sehr hilfreich sein.

Robyn Stewards Buch „The Autism Friendly Guide to periods“ ist eine hervorragende Informationssammlung mit zahlreichen Grafiken und -Bildern. Es ist eine gute Hilfe zum Aufklären, Nachlesen und Lernen für autistische Menschen mit Uterus und auch für Menschen, die nicht menstruieren. Für Eltern, Fachpersonal und Pflegende ist es durch die Art der Informationsvermittlung außerdem augenöffnend und ein guter Einblick in die Art und Weise, wie Autist*innen Informationen vermittelt werden können.

Robyn Steward – The Autism Friendly Guide to periods

  • Erhältlich bei Amazon und im Shop der Autorin
  • Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
  • Verlag: Jessica Kingsley Publishers (18. April 2019)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1785923242
  • ISBN-13: 978-1785923241


3 Gedanken zu „Rezension: „The Autism Friendly Guide to periods“

  1. Bitte nicht verallgemeinern, dass alle Autisten sich so ungeschickt anstellen würden. Die meisten können schon Worte mit mehreren Bedeutungen verstehen.

    1. Ich verallgemeinere nicht, wenn ich auch die Personen anspreche, für die das Verstehen von Mehrdeutigkeit nicht so einfach ist. Ich denke, im Text wird deutlich, dass ich nicht davon ausgehe, alle Autist*innen hätten damit Probleme.

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