Neurodiversität im Beruf – Teil 3: Klara

Man geht davon aus, dass etwa 80% der arbeitsfähigen Autist*innen erwerbslos sind. Diese Zahl sorgt immer wieder für Erstaunen, steht sie doch im starken Kontrast zur oft guten Ausbildung dieser Menschen. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Eine mögliche Ursache ist das Bild, das die Gesellschaft von Autist*innen hat. Für viele sind sie die schrulligen, anpassungsunfähigen und sozial inkompetenten Nerds, die jeder Person ungefragt die Wahrheit ins Gesicht sagen und sich kaum ein “Guten Morgen” abringen können.

Doch wie geht es autistischen Menschen am Arbeitsplatz tatsächlich? Sprechen sie über ihre Diagnose oder verheimlichen sie sie? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Wie gestalten sie ihren Tag? Mit welchen Schwierigkeiten sind sie konfrontiert?

Diese Fragen durfte ich mehreren Autist*innen stellen.



Teil 1 der Serie findet ihr hier: Claudia: “Durch meine Offenheit ergänzen wir uns gut.”

Teil 2: Simone: „Manchmal geht es auch ohne institutionelle Hilfen.“

Klara: “Sich als Psychologin mit Autismus zu outen würde nicht gut ausgehen.”

Klara kenne ich seit vielen Jahren von Twitter. Dort hat sie immer wieder Einblicke in ihre Ausbildung und ihren Beruf gewährt, in dem sie als Autistin vor besonderen Herausforderungen steht.

Hallo Klara! Was machst du beruflich?

Hallo Marlies. Ich habe Psychologie studiert und bin angehende psychologische Psychotherapeutin für Erwachsene.

Wurdest du als Erwachsene mit Autismus diagnostiziert? Wie kam es dazu?

Ja, ich wurde erst vor einigen Jahren diagnostiziert. Ich bin zufällig auf einen englischen Artikel über Autismus bei Frauen gestolpert und habe mich darin wiedererkannt. Etwa ein Jahr später habe ich mich in einer Autismusambulanz diagnostizieren lassen.           

Wie gehst du in deinem Beruf mit der Autismusdiagnose um?

Sich als Psychologin mit Autismus zu „outen“ würde nicht gut ausgehen. Im schlimmsten Fall dürfte man eventuell den Beruf nicht ausüben. Menschen, auch in Fachkreisen, haben immer noch Vorurteile gegenüber Autismus. Dass wir keine Empathie haben zum Beispiel – wie könnte so jemand anderen Menschen bei psychischen Problemen helfen? Während meiner Weiterbildung habe ich von Dozenten gehört, dass Autist*innen am liebsten „nur für sich“ seien und sich „im Keller verbarrikadieren“. Leider kann ich es mir nicht leisten, mich im Beruf zu „outen“. Ich kenne die Konsequenzen nicht.          

Belastet es dich, dich im Beruf und unter Kolleg*innen nicht outen zu können?

Nein. Ich wüsste spontan nicht, wie mir ein Outing mit den Patient*innen helfen könnte.

Hast du als Autistin Fähigkeiten, die dir im Beruf besonders nutzen?

Was ich gut kann ist Dinge miteinander zu verknüpfen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Das könnte für die therapeutische Arbeit von Vorteil sein. Außerdem kann ich es gut nachfühlen, wenn Menschen von  Problemen berichten, die andere nicht sehen (z.B. bei Erkrankungen wie MS). Die Patient*nnen fühlen sich verstanden. Bei autistischen Patient*nnen nützt mein Wissen über Autismus, das ich nicht nur aus Fachbücher kenne.

Hast du schon einmal berufliche Hilfsangebote in Anspruch genommen? Ein Job-Coaching oder eine andere Maßnahme?

Nein.

 Hast du dir die professionellen Soft Skills, die uns Autist*innen oft so schwer fallen, selbst erarbeitet und kannst Ratschläge für das Erlernen geben?

Ich bin noch dabei herauszufinden, was mir leicht und schwer fällt. Selbst- und Fremdsicht unterscheiden sich bei Autismus gravierend, so dass ich eine Rückmeldung bräuchte, was besser klappen sollte. Ich vermute bei mir Probleme in der Mimik und dass es bei Außenstehenden dadurch zu Irritation kommt. Eine Lösung habe ich dafür bislang noch nicht gefunden.               

Wie entspannst du dich nach einem harten Arbeitstag oder einem längeren Projekt? Helfen dir Urlaube oder sind sie eher ein Stressfaktor?

Die Weiterbildung, die ich von Berufs wegen durchführen muss, ist sehr zeitintensiv. Mir hilft routinierte Bewegung und das Beschäftigen mit Interessen (zum Beispiel Fachliteratur lesen, musizieren). Urlaube sind toll, aber leider zu selten. Ich empfinde sie nicht als stressig.               

Tauscht du dich mit anderen Autist*innen aus? Zum Beispiel über Probleme, Sorgen und autismusspezifische Themen?

Das tue ich täglich, vor allem in schriftlicher Form. Es bietet mir emotionale Unterstützung, Austausch und Zugehörigkeitsgefühl. Ich freue mich sehr, dass es diese Menschen gibt.

Hast du Ideen, welche vom Arbeitgeber, Jobcenter oder Inklusionshilfe integrierten Maßnahmen in einem Berufsalltag wie deinem helfen könnte? Das können z.B. Kurse sein, Mehrurlaub , Unterstützung des Jobcenters/AMS oder personelle Hilfen.

Wenn man einen Schwerbehindertenausweis hat, aber sich im Beruf nicht „outen“ kann, ist das schwierig. Ich könnte zum Beispiel Mehr Urlaub dringend gebrauchen. Kurse zu Soft Skills wären sicherlich auch hilfreich.           

Ein Gedanke zu „Neurodiversität im Beruf – Teil 3: Klara

  1. Ich würde es gut finden, wenn ich gezielt nach autistischen Therapeut:innen suchen könnte. Schade, dass es so schwierig ist, sich in dem Beruf zu outen.

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