Die Ausgrenzungskultur der Anderen.

Ist das nicht lustig? Ich kenne tatsächlich keine selbstironischeren, sarkastischeren Menschen als Autisten. Und ich selbst stehe ihnen mit meinem zynischen Wesen kein bisschen nach.
Doch mit dem Humor ist es so eine Sache, denn er hat eine feine Grenze. Da gibt es nämlich diesen ganz bestimmten Moment, in dem ein Witz nicht mehr lustig ist, sondern verletzt. Demütigt. Denjenigen, dem er galt, bloßstellt.
 Genau diese Grenzüberschreitungen sind harter Alltag für Behinderte, Kranke und andere Randgruppen und sie geschehen täglich. Privat ebenso wie in den Medien.
Als lebendes Ziel dieser vermeintlich humorvollen Verletzungen hat man in der Regel zwei Möglichkeiten. Sich dagegen wehren und dafür belächelt werden. Oder schweigen, es aushalten und für seine vermeintliche Abgebrühtheit ein paar Extralacher kassieren. Einfach so tun, als sei es in Ordnung. Doch das ist es nicht.

 Es ist nicht in Ordnung, sondern oft einfach nicht mehr als Behindertenfeindlichkeit. Ableismus.

Ich habe schon öfter über Ableismus geschrieben. Deutlich öfter, als mir lieb ist. Ich schrieb wütend, aufgebracht, gedemütigt. Manchmal sah der Urheber des Textes ein, warum er kritisiert wurde, oft war es ihm oder ihr auch einfach egal. Selten trat die entsprechende Person nach. Einer derer, die jedoch genussvoll nachtreten, ist Micky Beisenherz. Als Gagschreiber für einen TV-Sender und Kolumnist für den Stern ist er es gewohnt, eine breite Masse anzusprechen. In der Regel macht er das bissig und treffend. Leider wähnt er sich dabei aber auch in der Überzeugung, dass er sich jede Grenzverletzung erlauben darf. Als er unlängst einen rechtslastigen Schweizer Politiker als „Zweckautist“ beschimpfte, verletzte er diese Grenze nicht nur, er riss sie laut lachend ein. Dies führt – ob beabsichtigt oder nicht – auf lange Sicht zu einer Meinungsbildung in der Öffentlichkeit, die alle Autisten auf ein Niveau mit diesem rechten Politiker stellt. Mehrere Autisten, darunter auch ich, machten ihn daraufhin aufmerksam, dass es nicht angebracht ist, den Fachbegriff unserer Behinderung als Schimpfwort zu missbrauchen, was für ihn jedoch nur Anlass bot, sich noch ein bisschen mehr darüber zu amüsieren.

Bereits zu Jahresbeginn geschah das, wogegen wir uns wehren, mit an Depressionen Erkrankten. Diese standen nach dem erweiterten Suizid mittels einer Germanwings-Maschine, bei dem eine Vielzahl Unschuldiger getötet wurden, unter Generalverdacht, potenzielle Massenmörder zu sein, denen man aus Gründen der Sicherheit vorsorglich den Beruf entziehen sollte. Ein fataler Irrglaube!

Micky Beisenherz, der als weißer, gebildeter Mann zu den privilegiertesten Menschen dieser Erde gehört, nimmt sich Behindertenfeindlichkeit mit einer Selbstverständlichkeit heraus, die erschreckt. Nur wehe denen, die ihm das vorwerfen. Bekommt er Gegenwind, dann natürlich nur, wie er sagt, von Menschen unter seinem Niveau. Von den Trollen der Kommentarspalten, die, wie er dazu betont, den ganzen Tag nichts besseres zu tun haben und sich selektiv auf einzelne Begriffe stürzen. Dann setzt er sich zu Markus Lanz und erzählt, wie schlimm er das findet. Keinesfalls sei das behindertenfeindlich, was er äußert. Nein. Das würde er nie tun. 
Man muss doch schließlich auch über sich selbst lachen können, gerade als Angehöriger einer Randgruppe. Und genau das ist das Problem.
Worüber darf man eigentlich lachen und worüber nicht? Darf ich „Spastiker“ sagen? Oder Witze über Menschen mit Trisomie 21 reißen? Darf ich mich über Rollstuhlfahrer lustig machen? Oder über Menschen mit Lernschwierigkeiten?
Micky Beisenherz ist für mich wie der weiße Rapper, der sich darüber beschwert, dass er nicht das N-Wort benutzen darf. Er möchte doch so gerne, aber sehen wir den Tatsachen ins Auge: Es steht ihm einfach nicht zu. Denn letztendlich ist es ganz simpel. Die Grenzen definieren die, über die gescherzt wird. 
Die, die wissen, welche Schwierigkeiten und Einschränkungen hinter den Lachern stecken.

Comedy ist im Idealfall Kunst.
Guter Humor, niveauvolle Satire tritt immer nach oben, niemals nach unten. Wird nach unten getreten, nennt sich das nicht Comedy, sondern erinnert an das, was auf Schulhöfen passiert. Mobbing. Auch hier geht der Täter davon aus, dass er witzig ist und das alles ja gar nicht ernst gemeint ist. Passiert das in einer Schule, schreiten Lehrer und Eltern ein. Geschieht dies allerdings in einem Fernsehstudio, bekommt man dafür Lacher und Applaus. Genau das ist es, was Sendungen wie das Dschungelcamp funktionieren lässt. Die »Insassen« sind Prominente. Menschen, die das Spiel mit den Medien kennen. Die wissen, auf was sie sich einlassen, Medienprofis sind und die öffentliche Demütigung zu ihren Zwecken nutzen oder zumindest zu nutzen versuchen. Bei aller Geschmacklosigkeit: Das Dschungelcamp tritt nach oben, nicht nach unten. Das sollte Micky Beisenherz, der unter anderem seinen Lebensunterhalt als Autor dieser Sendung bestreitet, bewusst sein. Ist es das nicht, dann ist er nur ein Schreiberling, der seine Existenz darauf begründet, Menschen mit Häme zu übergießen, gleich, ob sie es verdient haben oder nicht. Nun sind wir Autisten und nicht die Teilnehmer des Dschungelcamps Ziel seines Spotts geworden. Nur, dass wir weder Medienprofis im Rampenlicht sind, noch uns freiwillig mit dem Wissen um das, was damit auf uns zukommt, um diese Position beworben haben.

Herrn Beisenherz ist das jedoch egal. Er holte sich mit dem Stand-up Comedian Oliver Polak einen Partner ins Ableismus-Boot, mit dem er die Sendung „Das Lachen der anderen – Comedy im Grenzbereich“ gestalten und moderieren wird. Wenn schon nicht Micky Beisenherz, so weiß zumindest der jüdische Komiker Oliver Polak, wie es ist, einer Randgruppe anzugehören, die permanent Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt ist. Inwieweit dies dem Sendeformat zuträglich ist, darüber kann man jedoch nur mutmaßen.
Inhalt der Sendung ist, eine gewisse Zeit mit Menschen, die in irgend einer Form von der Norm abweichen, sei es durch Behinderung, durch Krankheit, zu verbringen – man kann bislang nur mutmaßen, wer alles Ziel dieses Sendeformats wird. Am Ende dieser Zeit schreiben Polak und Beisenherz ein Comedyprogramm über diese Gruppe, die bei dessen Aufführung natürlich medienpräsent in der ersten Reihe sitzt. Man kann nun natürlich selbstbewusst und subtil übergriffig behaupten, dass Witze helfen, Randgruppen in die Gesellschaft zu integrieren. Man kann damit aber auch einfach nur die Ausgrenzungskultur der Anderen salonfähig machen.

9 Gedanken zu „Die Ausgrenzungskultur der Anderen.

  1. „Schön“ in einem der letzten Auswürfe von Beisenherz über die Faschos in Dortmund ist auch der Anwurf, diese haben die „Sonderschule“ besucht.

    Fein-fein. Faschisten sind also Menschen mit Lernschwierigkeiten. Dies verniedlicht einerseits die _bewusste Entscheidung_ des/der Einzelnen, FaschistIn zu sein – und bebildert einen Vorwurf einmal wieder – der „Griffigkeit“ halber – mit einer Gruppe sogenannter „Behinderter“, nämlich Menschen mit Lernschwierigkeiten.

    Wie so üblich. Ist etwas abzulehnen, lächerlich zu machen oder sonstwie übel – irgendeine „Behindi-Gruppe“ wird man schon finden, die zur Bebilderung her halten muss. Ist ja so praktisch. JedeR „Normale“ weiß ja: Krüppel, Kranker, BehinderteR = Defizit. Und Defizitie sind böse und abzulehnen – netter Zirkelschluss.

    Dämlich und diskriminierend, das Ganze. Aber Ableism ist ja schick – solln sich die Krüppis halt nicht so aufregen.

    1. Den Artikel über die Neonazis in Dortmund habe ich neulich auch gelesen. Als Dortmunder beobachte ich die Neonazi-Aktivitäten auch mit großer Sorge, glaube aber auch, daß vieles in der Presse übertrieben wird.

      Der Name Micky Beisenherz sagte mir bis dato gar nichts, in dem Artikel habe ich ihn zum ersten Mal wahrgenommen – und eingeordnet als jemanden, der pointiert schreiben und austeilen kann, der aber doch in vielen Dinge ziemlich unlogisches Zeug schreibt. Wenn in Aussagen die Logik fehlt, dann wird aus etwas, was vielleicht als Sarkasmus oder Witz gemeint war, eine tumbe Beschimpfung.

      Da ist mir besonders die Passage aufgefallen, die Neonazis seien „an einem Dienstagmittag hinter dem Autoscooter auf der Pflaumenkirmes gezeugt“ worden. Wir sind doch gesellschaftlich inzwischen so weit, daß die Abstammung eines Menschen keine Rolle mehr spielt. Willy Brandt ist noch dafür angegriffen worden, daß er ein uneheliches Kind war, das ist zum Glück Vergangenheit. Und nun soll aber der bloße Ort der Zeugung eine Aussage über den Charakter eines Menschen treffen?

      Und dann berichtet er, daß die Neonazis sich Gummihandschuhe anziehen, um sich vor HIV zu schützen. Er macht sich dann aber nicht etwa darüber lustig, daß die Neonazis offensichtlich glauben, HIV würde durch bloßes Anfassen übertragen. Sondern er argumentiert, daß der Virus schlicht keine Lust hätte, Neonazis zu befallen. Hä?

      Micky Beisenherz denkt also nicht logisch. An Menschen, die nicht logisch denken, kommt man argumentativ nicht heran – Jedenfalls bin ich daran bisher immer verzweifelt. Selbst, wenn Du von Angesicht zu Angesicht mit einem Unlogiker diskutierst: Du bekommst ihn nicht zu packen! Wenn Du denkst, Du hast jetzt endlich ein gemeinsames Verständnis einer Situation, eines Begriffes, einer Äußerung, oder sonstwas: Er flutscht Dir doch wieder wie Sand zwischen den Fingern hindurch. Und irgendwann hast Du dann das Gefühl, daß Dir der Boden unter den Füßen wegbricht, daß es überhaupt nichts mehr gibt, auf das Du Dich überhaupt irgendwie verlassen kannst, das überhaupt irgendwie argumentativ Bestand hat.

      Deshalb: Mit Unlogikern kann man nicht diskutieren. Man kann sie mögen oder nicht mögen, man kann mit ihnen auch Freizeit gestalten, Sex haben, sonstwas auch immer. Aber nicht diskutieren! Bloß nicht diskutieren! Diskutieren mit Unlogikern führt zu Streit, Zank und Magengeschwüren.

  2. Ich stimme dir weitestgehend zu und es geht in der Tat nicht an, den Namen einer Behinderung als Begriff für die Arschlochigkeit anderer zu missbrauchen. Und ich verstehe auch die Intention, die Grenzen so zu sehen: „Die Grenzen definieren die, über die gescherzt wird.“ Aber trotzdem macht er mir auch Bauchgrimmen, denn wer definiert dann, wann gescherzt wird? Ebenfalls die, über die gescherzt wird? Wer darf dann konkret die Grenzen bestimmen? Alle „Opfer“ oder „nur“ Behinderte? Der Satz öffnet für mich ein weiter Feld voller Fragen ie irgendwann auch mal an der Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit ritzt.
    Wohlgemerkt:Nicht in diesem konkreten Fall.

  3. An den System sind leider zwei Gruppen beteiligt die die sich das anschauen und gutheißen und die daraus ihr Kapital schlagen und damit ihr Einkommen sichern. Und hier wären wir schon beim Thema Angebot und Nachfrage. Der Konsument der sich diesen diskriminierenden Quatsch anhört und ansieht und gutheißt und immer nicht abschaltet oder auf ein seriöses Programm umschaltet.

    Die Anbieter machen ihr Geld, Ihnen ist die Moral egal. Manchmal denke ich man sollte alle diese Damen und Herren strafrechtlich verfolgen. Dabei sollten die Strafen so hoch ausfallen dass sie den doppelten Betrag ihres Ertrags bedeuten. Das Geschäftsmodell sich auf Kosten behinderter oder Randgruppen zu bereichern muss ein Risiko werden. Das Risiko heißt schlicht ergreifend ich kann damit kein Geld verdienen und es kostet mich mehr als es mir einbringt.
    Der Sender bietet in dieser Zeit Werbezeiten an wo diese „Tollen Sendungen“ laufen. Firmen können diese Zeiten buchen.
    Also gehe ich mal weiter und behaupte auch Firmen beteiligen sich in direkt an diesen Schmutz. In den Sie in den Werbezeiten ihrer Werbung schalten. Was würde passieren wenn Firmen sagen also da machen wir nicht mit wenn eure „vermeintlichen Künstler und Kulturschaffende“ sich über Behinderte oder soziale Randgruppen lustig machen dann werden wir bei euch keine Werbung mehr schalten. Unser Produkt soll ein sauberes Image haben.
    Leider muss ich feststellen dass beim Konsumenten die Anspruchshaltung sehr zurückgeht.
    Ich versuche mir zu überlegen und das immer wieder warum ist das so? Schaut man in die Geschichte der Menschheit so ist dies eine unendliche Wiederholung. Ich persönlich hätte viele Ideen hier zu und viele Thesen. Aber vielleicht mache ich mir darüber Gedanken weil ich einer von denjenigen bin der in der Randgruppe steckt.
    Vielleicht beginnt das Denken erst wenn man selbst betroffen ist?
    Ich hoffe wünsche keinen das er in eine solche Randgruppe kommt. Aber manchmal… Entschuldigung Nein. So einer Bin ich nicht…

  4. Gemütlich fröhliches „Nachtreten“ ist nun mal historisch gewachsene Feiertagskultur:
    Im 19. Jahrhundert gehörten Sonntagsspaziergänge (im Sonntagsstaat) zu den Käfigen der zur Schau gestellten Wahnsinnigen zum normalen bürgerlichen Leben, gegen kleines Entgeld lieh man sich mit Nägeln versehene Stöcke, mit denen die in den absichtlich Rückzugsmöglichkeiten entbehrenden Käfigen eingesperrten zum Jaulen und Tanzen gebracht wurden. Gauß war durch seine Familie zeitweise in Gefahr, als solches Exponat zu enden. Vor etwa hundert Jahren gehörten importierte Einwohner der Kolonien zum Bestand mancher Zoos ( http://www.hagalil.com/archiv/2000/08/kolonialismus.htm ). Vor 70 Jahren amüsierten sich unsere braven, anständigen Bürger darüber, ihren Nachbarn erst Lebertran einzuflößen und sie dann durch die Strassen zu jagen, oder in speziell krumm geschnitzten Holzschuhen herumtorkeln zu lassen. Ein paar Jahre später genoß man Sonntagsausflüge zu Kriegsgefangenenlagern – wie lustig hüpften die aus den Erdlöchern, um eine der verschimmelten Kartoffeln zu ergattern! Und im schönsten, tiefsten Sachsen knüpften die sich regelmäßig treffenden Näh- und Häckelgruppen braver Hausfrauen in fröhlicher Runde Knebel statt Häckeldeckchen, denn das Geschrei aus den Folterkellern der Dorfkneipen war doch ein bisschen laut (Baganz: „Erziehung zur „Volksgemeinschaft“?“). Ist das „Zwergenwerfen“ in abendlicher Kneipenrunde nicht noch in Diskussion ( https://de.wikipedia.org/wiki/Zwergenwerfen )? Und hat sich nicht selbst die inzwischen geheiligte Muter Teresa zum Vergnügen am Leid ihrer schmerzmittelverweigerten Schützlinge bekannt? Wir sehen: Es geht um eine stabile, sich stets in der einen oder anderen Form durchsetzende Grundstruktur von menschlichem Gemüt und Geselligkeit. Genau deshalb bestreben Comedians und andere, daran anzuknüpfen. Dagegen steht nur der Wunsch um eine „Humanisierung der Menschheit“. Das hat selbst Stanislaw Lem nur in einer Satire zu artikulieren gewagt.

    1. Danke für Deine Ausführungen.
      Meines Erachtens befinden wir uns jedoch nicht mehr auf einer gesellschaftlichen Entwicklungsstufe, auf der das tolerierbar ist. Natürlich kann man es weiter hinnehmen, sich treten lassen und einfach alles aushalten. Fun Fact: Muss man aber nicht.

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